Zarische Truppen, Krasnaja Poljana, 21.5.1864

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Freitag, 7. Februar 2014

Amnesty International: Eine Antwort, die keine ist



Am 10. Dezember hatte ich einen offenen Brief an die Ortsgruppe Frankfurt von Amnesty International versandt. Anlaß meines Schreibens war die Veranstaltung "Olympische Winterspiele in Sotschi - Eiszeit für die Menschenrechte" gewesen, Gegenstand die in Deutschland immer wieder zu beobachtenden Doppelstandards in Bezug auf das Thema "Menschenrechte" im allgemeinen und in Bezug auf den Völkermord an den Tscherkessen und dessen Aufarbeitung im speziellen. Ich hatte kritisiert, daß Amnesty International sich nun im unmittelbaren Vorfeld von Sotschi 2014 vordergründig für Meinungsfreiheit und Menschenrechte in Rußland einzusetzen schien, dabei aber gleichzeitig Repressionen in Deutschland, die die Thematisierung des Völkermordes an den Tscherkessen bei uns behindern, vollkommen ignoriert. Ich hatte in meinem Brief u.a. folgendes geschrieben:

"In meiner Wahrnehmung ist es ein schreiender Widerspruch, daß AI Deutschland nun, so wie das Thema aktuell und populär wird, gegenüber Menschenrechtsverletzugen im Umfeld von Sotschi 2014, d.h. gegenüber Rußland als Forum für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auftritt, sich aber zuvor bei exakt dem gleichen Thema selbst an Unterdrückung und Ausgrenzung beteiligt hat." 


Dem möchte ich hier noch hinzufügen, daß ich diese Art von Doppelstandards nicht allein aus ethischen Gründen verurteile, sondern ihnen eine recht unmittelbare politische Bedeutung und Wirkung zumesse. Wer nur im Ausland kritisiert, im Inland aber die gleichen Mißstände unangetastet läßt und sogar noch mit unangemessen-beleidigendem Verhalten nachlegt, handelt meines Erachtens nicht unabhängig, wie dies Amnesty International (im Zuge der Begründung seines Nicht-Engagements in Deutschland) vorgibt, sondern in einem Zustand höchster Abhängigkeit - Abhängigkeit von westlichen Institutionen und westlichen Interessen. Rußland gegenüber ist ein solch eklektisches Verhalten auf unangemessene Weise belehrend und bevormundend und damit auch potentiell interventionistisch. So fatal ich die Menschenrechtslage in Rußland auch finde, diese Art von "Interesse" an Menschenrechten und demokratischen Strukturen lehne ich ab, längerfristig gesehen ist letzteren damit auch nicht gedient. Menschenrechtsschutz muß unabhängig von politischen Interessenlagen sein und jenseits von außenpolitischen Überlegungen gewährleistet werden. Amnesty International ist meines Erachtens davon weit entfernt.



Am 21. Januar habe ich nun folgendes Schreiben von der Amnesty International-Zentrale in Berlin erhalten:

"Sehr geehrte Frau Kreiten,

vielen Dank für Ihre E-Mail vom 10. Dezember 2013. Tome Sandevski aus dem Frankfurter Bezirk hat sie uns zur Information weitergeleitet. Entschuldigen Sie bitte die verspätete Beantwortung Ihres Schreibens, aber wir erhalten täglich zahlreiche Anfragen, die wir nicht immer zeitnah beantworten können.

Es tut uns sehr leid, zu hören, dass Sie im August 2012 schlechte Erfahrungen mit dem Welcome Center von Amnesty International gemacht haben. Wie Frau Saviddes Ihnen bereits im Januar 2013 mitteilte, bedauern wir dies sehr. Danke erneut für Ihre Rückmeldung, denn uns ist daran gelegen, dass sich derartige Vorkommnisse nicht wiederholen!

Wie Sie wissen, setzen wir uns als eine  internationale Menschenrechtsorganisation vor allem für die Freilassung gewaltloser politischer Gefangener sowie für faire Gerichtsverfahren für politische Gefangene ein. Unsere Organisation arbeitet außerdem weltweit gegen die Todesstrafe, Folter, das „Verschwindenlassen“ von Menschen und extralegale Hinrichtungen sowie für die Förderung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte.

Daher sind wir grundsätzlich daran interessiert, über Menschenrechtsverletzungen - ob in Deutschland oder weltweit - informiert zu werden. Da aufgrund unserer basisdemokratischer Struktur durch internationale Entscheidungsprozesse festgelegt wurde, dass Deutschland zurzeit kein Schwerpunktland unserer Arbeit ist, können wir aber weder Beratung noch menschenrechtliche Bewertung im Einzelfall zu Menschenrechtsverletzungen in Deutschland leisten. Unsere Einzelfallarbeit in Deutschland beschränkt sich allein auf Fälle, in denen Personen aus Verfolgungsgründen im Herkunftsland in Deutschland Asyl suchen.

In Ihrem Schreiben berichten Sie, dass Sie an der Universität Tübingen und darüber hinaus Opfer von Rassismus geworden sind. Uns ist bekannt, dass viele Menschen in Deutschland derartige schmerzliche Erfahrungen machen müssen. Da Rassismus eine schwere Menschenrechtsverletzung ist, arbeitet Amnesty International  schon seit vielen Jahren daran, rassistische Einstellungen in der Gesellschaft zu überwinden. Insbesondere verfolgen wir dies durch unsere Menschenrechtsbildung und unsere Lobbyarbeit zu internationalen Menschenrechtsinstrumenten gegen Diskriminierung. Eine ehrenamtlich tätige Fachkommission von Amnesty International informiert über unsere Anti-Rassismusarbeit, Möglichkeiten des Engagements gegen Rassismus und Antidiskriminierungsstellen. Die Fachkommission ist unter folgendem Link zu erreichen: http://www.amnesty-gegen-rassismus.de/

Wir hoffen, dass Sie auch in Zukunft an Veranstaltungen von Amnesty International teilnehmen und sich an uns wenden, wenn Sie Ihre Menschenrechte als verletzt sehen oder Sie über andere Menschenrechtsverletzungen Informationen erhalten.

Alles Gute für das neue Jahr 2014 und Ihr weiteres Engagement!

Mit freundlichen Grüßen

Hannah Marwede"

Hiermit ist allerdings auf meine Kritik an den unterschiedlichen Bewertungsstandards und der selektiven geographischen Schwerpunktsetzung und deren politische Fanalwirkung nicht eingegangen. Auch nicht auf meine zuvor an AI gerichtete Kritik, daß die Praxis, Hilfesuchenden keine andere Kontaktadresse als das "Welcome-Center" anzubieten, dessen Reaktionen alles andere als kompetent und "Willkommen"-heißend sind, völlig unzumutbar ist. Ebenfalls wurde nicht auf den weiterhin pampigen Ton des Antwortschreibens von Frau Savvides (im AI-Brief noch falsch geschrieben!) eingegangen. Eine Institution, der daran gelegen ist, "dass sich derartige Vorkommnisse nicht wiederholen!", muß nachprüfen, wie es dazu gekommen ist, die Ursache hierfür abstellen und adäquate Maßnahmen für die Zukunft ergreifen. Von all dem ist in diesem Brief aber mit keinem Wort die Rede. DIe Passagen im Brief, die meine Person betreffen, zeugen weiterhin von Uninformiertheit und dem Unvermögen, Schilderungen von Menschenrechtsverletzungen jenseits stereotyper Kategorisierungen überhaupt als Information zu verarbeiten (So habe ich mich über "Diskriminierung" und Eingriffe in meine Grundrechte aufgrund politisch sensibler wissenschaftlicher Tätigkeit beklagt, nicht über "Rassismus", auch wenn dieser dabei ebenfalls eine Rolle gespielt haben wird). Die Gefangenheit in der AI-schen Selbstreferentialität gipfelt denn auch im letzten Satz: 

"Wir hoffen, dass Sie auch in Zukunft an Veranstaltungen von Amnesty International teilnehmen und sich an uns wenden, wenn Sie Ihre Menschenrechte als verletzt sehen oder Sie über andere Menschenrechtsverletzungen Informationen erhalten."

 Warum sollte ich mich an AI wenden, wenn man dort nicht einmal zur Kenntnis nimmt, daß ich meinen Brief u.a. gerade deswegen geschrieben hatte, weil ich unter meinen gegenwärtigen Lebensumständen eben nicht an derartigen Veranstaltungen teilzunehmen in der Lage bin, gerade auch, weil ich u.a. auch von AI ignoriert und mißachtet wurde? Und: wem würden derartige "Informationen" dienen, wenn nicht einmal annähernd offengelegt wird, ob diese Art Mitteilungen überhaupt in irgendeiner Form registriert und systematisiert werden und damit in die Arbeit von AI Eingang finden?